"Er war nie besonders kosmopolitisch", sagt der Politikwissenschaftler Dimitris Papadimitriou von der Universität Manchester im Gespräch mit dem Portal GMX. Vielmehr sei Tsipras "das typische Produkt von linkem Aktivismus". Weil der 40-Jährige keine Auslandserfahrung hat und noch nie in der Privatwirtschaft einen Job hatte, habe er einen sehr beschränkten Blickwinkel auf die Welt. Englisch hat Tsipras erst für sein Amt gelernt, obwohl er ein studierter Bauingenieur ist.
In den Medien wurde in den letzten Monaten immer wieder darüber spekuliert, dass Tsipras Griechenland insgeheim aus dem Euro herausführen wolle. Dies sei aber nicht der Fall, erläutert Papadimitriou. Tatsächlich wolle er Griechenland in der EU halten, weil er wisse, dass die Leute sonst noch mehr litten. Tsipras selbst sei nicht pro-europäisch. Dies werde an seinem mangelnden Verständnis, wie die EU-Institutionen funktionieren und welche Regeln die EZB habe, deutlich.
Wer eins und eins zusammenzählt, kommt zu dem Ergebnis, dass ein Grexit unwahrscheinlich ist. Zum einen will ihn Tsipras nicht, sonst wäre er schon früher auf Konfrontationskurs gegangen und hätte nicht bis vor kurzem die Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF) bezahlt. Zum anderen wird sich die EU die Kirchturmspitze der europäischen Einigung, nämlich das ist der Euro, nicht von einem 40-Jährigen Griechen kaputtmachen lassen, der keine Ahnung von Europa hat und möglicherweise von seiner Lebensgefährtin indoktriniert wird.
Wenn all das wahr ist, könnte es wie folgt weitergehen:
- Tsipras verliert sein Referendum, das augenscheinlich aus einer Kurzschlussreaktion entstand. Ein erfahrener Politiker hätte über die Sache sicherlich eine Nacht geschlafen. Nicht Tsipras. Der setzte sich letzten Freitag in Brüssel ins Flugzeug und kündigte acht Stunden später im Fernsehen die Volksabstimmung an.
- Tsipras tritt zurück. Die Nachfrage nach dem als sicheren Hafen wahrgenommenen Schweizer Franken sinkt, was dem Eurokurs Anstiegspotential Richtung 1,08 Franken eröffnet. Die Geldgeber einigen sich mit dem Nachfolger von Tsipras in Windeseile auf ein Reformpaket. Langwierige Pokerspiele kann sich die griechische Politik aufgrund der Kapitalverkehrskontrollen nicht leisten.