Hat sich der einflussreiche Fed-Chef von New York da verplappert oder war das Absicht? John Williams sagt, eine Notenbank müsse bereits bei den ersten Anzeichen konjunkturellen Gegenwinds mit Zinssenkungen reagieren. Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) wird man diese Aussage, mit der die Fed gegenüber der Wall Street die Hosen runter lässt, wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Die EZB ist überzeugt, dass es von Grund auf falsch ist, negative Kursentwicklungen an den Finanzmärkten auszusitzen und darauf zu vertrauen, dass die Kurse von selbst einen Boden finden.
Es gibt drei Ursachen, warum die EZB mehr Zahnpaste aus der Tube drücken wird und sie niemand aufhalten kann:
- Die Inflation in der Eurozone ist deutlich unter ihrem Ziel von 2%. So lagen die Verbraucherpreise im Juni 2019 laut Eurostat lediglich 1,2% höher als im Juni 2018.
- Der Europäische Gerichtshof hat der EZB erlaubt ihre Staatsanleihen-Käufe aufzustocken. Bisher gilt ein selbst gesteckte Grenze der Währungshüter 33% der Staatsschulden eines Eurolandes zu übernehmen. Der EZB-Rat kann diese Grenze jederzeit auf 50% hochsetzen. Er kann ferner entscheiden, dass künftig mehr Staatsanleihen aus Italien und weniger aus Deutschland gekauft werden.
- Die anderen (US-Notenbank, Bank von Japan) öffnen ebenfalls die Geldschleusen ("Warum sollen wir da als EZB zurückstehen?"). Dieser Querverweis ist eine mächtige Kommunikations-Waffe für Draghi und später Lagarde, um die von ihnen für die Eurozone für notwendig befundene immer radikalere Geldpolitik zu rechtfertigen. Gerade weil die Fed nun wieder beginnt die Geldschleusen zu öffnen, hat die EZB gewissermaßen Narrenfreiheit.
Schweizer Politik und SNB scheitern bisher kläglich daran, eine Antwort auf die nächste Lockerungswelle zu formulieren. Viele wünschen sich ein klares Bekenntnis den Negativzins weiter zu senken und Ausnahmen abzuschaffen, so dass ihn auch Pensionskassen und Banken voll bezahlen müssen. Darüber hinaus wollen jene, die eine nicht enden wollende Radikalisierung der Geldpolitik propagieren, dass die SNB mit dem Gelddrucken wieder ins Volle geht.
SNB-Chef Thomas Jordan und die Berner Regierung sollen keine Skrupel haben die Bilanzsumme durch Euro-Stützungskäufe auf über eine Billion Franken, das wäre das Doppelte der Schweizer Wirtschaftsleistung, aufzublähen. Die Deutsche Bundesbank hatte sich auch lange gegen eine Verstetigung der radikalen Geldpolitik gestemmt. Sie räumte ihre Position schließlich, auch damit Jens Weidmann eine Chance hatte, neuer EZB-Chef zu werden.
EUR/CHF: Zünglein an der Waage
Man darf gespannt sein, wann die Schweiz umschwenkt. Entscheidend ist der Euro-Franken-Kurs. Fällt er ruckartig unter 1,10, dürfte die SNB recht schnell reagieren und mit dem radikalen Kurs der EZB gleichziehen. Kriecht die Devisennotierung über einen Zeitraum von sechs Monaten unter 1,10 und braucht dann ein weiteres Jahr um auf 1,05 Franken zu fallen, hätten die Schweizer Exporteure eine Chance, damit klarzukommen.
Dass es zu einer langsamen Abwärtsbewegung kommt, ist jedoch unwahrscheinlich. Die EZB verfolgt auch stets das Ziel, mit dem Ausmaß ihrer Lockerungen die Finanzmärkte zu überraschen. Das spricht dafür, dass Draghi/Lagarde dem Euro-Franken-Kurs einen Tiefschlag verpassen werden, vom dem er sich ohne die Hilfe der SNB (Euro-Stützungskäufe) nicht mehr erholt. Die SNB muss sich also Radikalisieren, um den Euro-Franken-Kurs zu beruhigen und in einigermaßen geordneten Bahnen zu halten.
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