Der Schweizer Franken ist gegenüber dem Euro laut Kaufkraftparität sehr hoch bewertet. Weil die Schweiz gerade ihre Null bei der Teuerung loswurde, ist eine Euro-Franken-Rate von 1,05 zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht. Einem Anstieg auf den fairen Wechselkurs steht ein großer Moral Hazard entgegen.
Der faire Wechselkurs des Euro liegt bei 1,14 Schweizer Franken, sagt das Zürcher Beratungsunternehmen Fahrländer Partner. Zwischen diesem Kurs und dem vom Devisenmarkt festgestellten (nominalen) von aktuell 1,06 klafft eine Riesenlücke. Demnach ist der Franken um sieben Prozent überbewertet.
Auf einen großen Unterschied zwischen tatsächlichem und fairem Wechselkurs weist auch die Landesbank Baden-Württemberg hin. Allerdings sei die Kaufkraftparität gesunken, woraus sich ein geringeres Abwertungspotenzial des Schweizer Frankens ergebe, meint die Landesbank aus dem Südwesten Deutschlands.
Die Jahresinflation in der Schweiz stieg im Oktober auf 1,2%, meldete das Bundesamt für Statistik gestern. Im September hatte die Teuerung gegenüber dem Vorjahresmonat bei 0,9% gelegen. Die Inflation knistert also auch etwas in der Schweiz. Allerdings nicht so sehr wie in den Euroländern, wo die Teuerung im Oktober laut Eurostat auf 4,1% stieg.
Anders als in den Euroländern fallen in der Schweiz die Preisanstiege geringer aus. Nur ein Prozent der Energie kommt aus fossilen Brennstoffen. Es gibt keinen Seehandel, dessen Kosten rapide in die Höhe geschnellt sind. Darüber hinaus schirmt ein starker Schweizer Franken sowohl zum Euro als auch zum US-Dollar die Schweiz vor einer importierten Inflation ab.
Als die Euro-Franken-Rate im April 2018 auf 1,20 kletterte, stimmten Kaufkraftparität und nominaler Wechselkurs überein. Der Anstieg auf die frühere Stützgrenze der Schweizerischen Nationalbank (SNB) war allerdings nur von kurzer Dauer.
Beim Ausbruch der Corona-Pandemie wäre die Euro-Franken-Rate wohl ohne Stützungskäufe der SNB auf die Parität gefallen, also auf ein Niveau, auf dem sie nach der plötzlichen Aufhebung des Mindestkurses Anfang 2015 schon einmal war.
Trotz des leichten Inflationsanstiegs in der Schweiz bleibt der Unterschied zu den Euroländern eklatant. Dadurch sinkt der faire Wechselkurs schneller als der nominale. Alsbald die Erholung des Euro von seinem jüngsten Kurssturz auf 1,0550 Franken abgeschlossen ist, dürfte es daher erneut Richtung Süden gehen. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich fairer und nominaler Wechselkurs bereits um 2025 zur Parität (1 Euro = 1 Schweizer Franken) schneiden.
Ein schrecklicher Verdacht
Für die hochverschuldeten Euro-Südländer sind die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) inzwischen von so hoher Bedeutung, dass man hier leider mit etwas Schlimmen rechnen muss: Die Regierungen könnten Einfluss auf die Inflationsmessung nehmen.
Es gibt durchaus Spielraum die Inflation ohne Manipulation etwas runterzubekommen. Man kann beispielsweise die Statistiker nur in solchen Landesteilen messen lassen, wo die Preissteigerung erfahrungsgemäß nicht so hoch ausfallen. In der Wahrnehmung der Bevölkerung und der Finanzmarktteilnehmer macht es einen großen Unterschied, ob die Inflation laut offiziellen Angaben 5,1% ist oder nur 3,9%.
Die Eurozone leidet unter einem Moral-Hazard-Tumor, der sich überall und auf allen Ebenen ausbreitet. Das verantwortungslose, risikoreiche und fahrlässige Verhalten beschränkt sich längst nicht mehr im Auftürmen von Staatsschulden und dem Vernachlässigen wirtschaftlicher Reformen.
Auch die EZB hat ein Moral-Hazard-Problem: Die Verantwortung wird auf so viele Schultern verteilt, dass sich jeder rausreden kann, wenn es schiefgeht. Beispielsweise kann EZB-Chefin Lagarde sagen, sie habe nur die Geldpolitik ihres Vorgängers fortgesetzt. Draghi kann wiederum auf Trichet verweisen, als der mit den Staatsanleihen-Käufen begonnen hatte.
In der Schweiz gibt es dieses Verantwortungs-Splitting nicht. SNB-Präsident Jordan muss am Ende für alles gerade stehen. Unlängst wollten Schweizer Wirtschaftsprofessoren die SNB mit höherem Inflationsziel und neuem Mindestkurs auffrisieren. Jordan antwortete: "Nein danke".
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