Die Kursgewinne des Schweizer Franken sind die größten seit siebeneinhalb Jahren. Nach zwei rabenschwarzen Monaten findet sich der Eurokurs bei 0,97 CHF wieder. Noch ist die erste Nachkommastelle eine neun. Wird daraus im achten Monat des Jahres bereits eine acht?
"Vor allem die weiterhin ungewisse Versorgungslage mit Erdgas verunsichert die Märkte und belastet den Euro", analysiert die St.Galler Kantonalbank. Hinzu kommt das Dauerproblem Inflation. Die Verbraucherpreise in der Eurozone stiegen zwischen Juli 2021 und Juli 2022 um 8,9%. Das war wieder einmal mehr als erwartet.
Weiterlesen: Schweizer Franken steht vor massiver Aufwertung
Ist der Euro imstande die vorausgegangenen Verluste aufzuholen? In den letzten zwei Monaten fiel er scharf von 1,05 auf 0,97 Franken (-7,6%). Mit einem stärkeren Wirtschaftswachstum im Rücken hat der Euro bessere Chancen der massiven Frankenstärke Einhalt zu gebieten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Euroländer wuchs um zweiten Quartal um 0,7%. Das waren 0,2% mehr als erwartet.
Wirtschaftsmotor harzt
Gegenwind für den Franken kommt von der heimischen Wirtschaft. "Die Schweizer Konjunktur dürfte sich im Herbst harzig entwickeln", erwartet die Konjunkturforschungsstelle (KOF) in Zürich. Das KOF-Barometer sank im Juli zum dritten Mal in Folge, teilte das Institut gestern mit.
"Unserer Ansicht nach wird EUR-CHF in nächster Zeit weiter unter der Parität notieren", sagt Unicredit. Solange die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik normalisiere, erwarte man eine leichte Erholung des Euro gegen den Franken, so die Bank-Austria-Mutter.
Aus der Sicht VP Bank ist ein EUR/CHF-Kurs von 0,97 zu tief: "Mit nachhaltigen Aufwertungen unter die Marke von 0.98 rechnen wir derzeit nicht." Das Geldhaus aus Liechtenstein räumt allerdings ein, dass die unsichere Gasversorgungslage Europas den als sicheren Hafen wahrgenommenen Franken stärke.
Aus charttechnischer Sicht ist unwahrscheinlich, dass der Euro bereits im August eine acht als erste Nachkommastelle bekommt. Dies würde ein Absacken des EUR/CHF-Kurs auf mindestens 0,89 gleichkommen. Gleichwohl ist eine Fortsetzung des Sinkflugs auf 0,9430 bis Herbst 2022 angezeigt.
Damit würde ein weiteres Measured-Move-Kursziel (diesmal auf einem größeren Zeithorizont) erreicht. Hintergrund: Von Anfang März bis Ende Juni 2022 war EUR/CHF in einer Seitwärtsbewegung. Er pendelte zwischen 0,9970 und 1,0520. Anfang Juli brach er aus dieser Seitwärtsbewegung nach unten aus. Dieser Breakout hat viel Platz nach unten geöffnet.
Das Abwärtspotenzial ergibt sich durch die Höhe der Seitwärtsbewegung, weshalb man von einem "Measured Move", also einer abgemessenen Bewegung spricht. Measured-Move-Kursziele sind nicht aus der Luft gegriffen. Devisenhandelssysteme in dem mit Computern betriebenen Hochfrequenzhandel (High Frequency Trading) sind oft auf solche Kursziele programmiert – und zwar auf allen Zeithorizonten.
Im vorliegenden Fall würde das bedeuten: Die Computer nehmen Gewinne mit, wenn der EUR/CHF-Kurs auf 0,9430 fällt. Sie kaufen Euros zurück, es kommt zu einem kleinen Anstieg. Anschließend könnte daraus ein großer Anstieg auf die Parität bis Anfang 2023 erwachsen.
Das würde sich mit den Fundamentaldaten insofern ausgehen, als die Inflation bis dahin womöglich unter 5% gefallen ist. Der verkleinerte Inflationsunterschied zur Schweiz würde nun mit einem festeren Euro zum Franken honoriert.