Für die Schweiz kommt es knüppeldick: Die Notenbank des Landes steht kurz vor der Pleite. Darüber hinaus schmerzt der Ausschluss aus der Forschungsförderung Horizon Europe. Den bilateralen Vertrag für die wichtige MEM-Industrie kappt die EU wohl als nächstes. Die Schweiz kollidiert mit ihren wichtigsten Handelspartnern. Wird der Franken abgestraft?
"Die eidgenössische Eigenart, von den Segnungen der europäischen Einigung profitieren zu wollen, den eigenen Beitrag aber möglichst klein zu halten, hilft nicht bei der Beziehungspflege", stellte der Blick nach dem gescheiterten Verhandlungen zum EU-Rahmenabkommen fest.
Den Beitrag der Schweiz zur Währungsunion muss man ausklammern. Denn der ist Spitze. Wegen dekadenlangen Euro-Stützungskäufen und deren Recycling in den Schuldscheinen Deutschlands und Frankreichs ist die Schweizerische Nationalbank (SNB) zum größten Einzelgläubiger der zwei wichtigsten EU-Länder aufgestiegen.
Große Liebe für den Euro
Aufgrund der hohen Inflation werden diese Schuldscheine weniger wert. Die SNB schreibt dreistellige Milliardenverluste. Frankreichs Präsident Macron und Deutschlands früherer Finanzminister und aktueller Bundeskanzler Scholz lachen sich ins Fäustchen. Sie können einen Teil ihrer Staatsschulden auf dem Rücken der Schweiz weginflationieren. Starke Schwankungen bei der Bewirtschaftung der Devisenreserven seien "die Regel", sagt die SNB kleinlaut dazu.
Ein Beispiel:2015 kauft die SNB für eine Milliarde Euro zehnjährige Bundesanleihen (sie gibt dem deutschen Staat einen Kredit) mit einem damaligen Kupon von 0,7%. 2025 bekommt sie die Milliarde Euro zurück. Überdies überweist ihr der deutsche Staat jedes Jahr Zinsen: 7 Millionen Euro p. a., insgesamt 70 Millionen. Die SNB hat 1,07 Milliarden Euro.
Doch was sind 1,07 Milliarden Euro im Jahr 2025 noch wert? Ganz so schlimm wie in der Weimarer Republik kommt es natürlich nicht. Aber es tut schon weh. Zum einen dürfte der Euro zum Franken zwischen 2015 und 2025 um etwa 15% abwerten. Wechselkursverlust: ca. 150 Millionen Euro.
Hinzu kommt Deutschlands hartnäckig hohe Geldentwertung. Wegen ihr kann man mit 1,07 Milliarden Euro im Jahr 2025 nicht mehr so viele BMW, Mercedes oder Leopard Panzer kaufen wie noch 2015. Damit die Schweiz Plus-Minus-Null aus ihrem deutschen Kredit rausginge, müsste sie 1,74 Milliarden Euro zurückbekommen. Berücksichtigt man den Wechselkursverlust wären sogar 1,89 Milliarden Euro erforderlich.
Die Rechnung basiert auf der Annahme, dass die jährliche Inflation im Schnitt bei 5% liegt. Aktuell hat das vermeintlich schwer inflationierbare Deutschland der Nachkriegszeit eine Inflation von über 10%. Von Frankreich wird die Schweiz in etwa derselben Größenordnung geschröpft. Hier war die Inflation vor Corona höher als in Deutschland. Aktuell ist sie tiefer.
Blutiger Nadelstich
Lässt die EU nach der Forschungsförderung das Handelsabkommen mit der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) auslaufen, wird das der Schweizer Wirtschaft wehtun. Dieser bilaterale Vertrag gilt offenbar noch bis Mitte 2023. Die MEM-Industrie ist mit 300.000 Beschäftigten das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft.
Im Verarbeitenden Gewerbe der Schweiz hat sich die Stimmung in den letzten Monaten mit beschleunigter Rate eingetrübt. Die Lage ist so düster wie beim Ausbruch der Corona-Pandemie. "Im Produzierenden Gewerbe (Verarbeitendes Gewerbe und Bau) tragen nahezu alle Indikatorenbündel zur negativen Entwicklung bei", meldet die Konjunkturforschungsstelle in Zürich (KOF).
Schweizer Franken
Die meisten Devisenexperten sind der Überzeugung, dass der Reputationsschaden der Nationalbank und der schwelenden EU-Konflikt dem Schweizer Franken kaum etwas anhaben kann. "Der Franken ist und bleibt eine starke Währung", sagt der Devisenexperte Thomas Stucki. Abschiedsreden für einen starken Franken seien verfrüht, so der früherer Leiter des Asset Management bei der SNB.
Der Euro ist nach acht Jahren Draghi und drei Jahren Lagarde keine Starkwährung mehr ist. Deswegen kann er Schwächephasen des Schweizer Franken nur limitiert ausnutzen kann. Laut den langfristigen Wechselkursprognosen der Bank J. Safra Sarasin sinkt der Euro bis 2027 auf 0,92 Franken und bis 2032 auf 0,90.
Schweiz igelt sich ein
Der Bundesrat in Bern hat mit dem Weggang vom Verhandlungstisch und dem Platzenlassen des EU-Rahmenabkommens politische Realitäten ignoriert und verkehrte Verhältnisse zum Ausdruck gebracht. Der Schwanz wackelt nicht mit dem Hund. Die Schweizer Wirtschaft ist es, die auf den Zugang zum EU-Binnenmarkt angewiesen ist.
Je länger sich die Schweiz weigert zu akzeptieren, dass sie nicht länger aus dem EU-Kuchen die Rosinen herauspicken kann, je größer die Chancen für den Euro. Seine letzte längere Erholung dauerte zehn Monate. Er kletterte zwischen Mai 2020 und März 2021 von 1,05 auf 1,11 Franken (+6%). Käme es zu einer weiteren Erholung dieser Größenordnung, wäre der Euro-Franken-Kurs Mitte 2022 bei 1,01.